03   Schnitzeljagd
[Titel]
Eine Schnitzeljagd
durch die Archive
Eine magische,
märchenhafte Welt
[Beschreibung]

Eine Suche im Archiv entwickelt sich oft zu einer Ermittlung, zu einem Krimi, der umso spannender wird, je mehr es Sie persönlich betrifft. Wir haben uns eine Challenge ausgedacht, eine Schnitzeljagd zur Archivsuche, bei der man eine Menge lernen kann. Stellen Sie sich vor, Sie räumen Ihren Dachboden auf und finden einen alten Koffer mit einem Sammelsurium verschiedener Dinge. Sie wissen nicht, wem diese Sachen gehören, aber die Namen und Institutionen in einigen Dokumenten und auf einigen Fotografien kommen Ihnen entfernt bekannt vor.Diese Anleitung, diese Schnitzeljagd beschreibt keineswegs alle möglichen Varianten der Suche in Archiven. Mehr noch: Sie bezieht sich nur auf ein konkretes, reales Thema, nämlich die Geschichte der UdSSR. Die Schnitzeljagd macht uns jedoch klar, wie viel wir erfahren können, wenn wir keine Scheu haben, uns den Archiven zuzuwenden. Und wie wir mit Hilfe dieses alten Koffers und eben der Archive wider Erwarten ganz erstaunliche Einzelheiten aus der eigenen Familiengeschichte zutage fördern können.

Eine wichtige Anmerkung: Zur Illustration haben wir Originaldokumente verwendet, doch sämtliche Geschichten unserer Protagonistinnen und Protagonisten sind erfunden; Übereinstimmungen wären rein zufällig.

Bevor wir zu den konkreten Dingen und Dokumenten übergehen, einige generelle Empfehlungen.

Genau auf die Details achten

Schauen Sie sich die Dinge, die Sie gefunden haben, ganz genau an. Auf den ersten Blick mag es scheinen, als würden sie uns gar nichts sagen. In Wirklichkeit kann aber jedes Detail ein Anhaltspunkt sein: eine Unterschrift, ein Datum, ein Stempel, der Hintergrund auf einem Foto oder einzelne Gegenstände, die dort zu sehen sind.

Mit den Angehörigen reden

Bevor wir ins Archiv gehen, ist es zunächst sinnvoll, Verwandte auszufragen.

Deren Erzählung über die Vergangenheit könnte an ein Lehrbuch für Geschichte erinnern: Die Erinnerung verfärbt nämlich unwillkürlich Ereignisse des eigenen, persönlichen Lebens, und zwar so, dass sie zum allseits bekannten Narrativ passen.

Für uns ist jetzt wichtig, auf Einzelheiten und scheinbar kleine Details zu achten. Denn die bieten oft Ansatzpunkte für die Suche. Wenn wir Glück haben, kennen unsere Verwandten die Namen derjenigen, denen einst die Sachen in dem Koffer gehörten, den wir gefunden haben: Das sind äußerst wichtige Informationen für die Schnitzeljagd, sie werden bei jeder Archivanfrage benötigt.

Archivanfrage stellen

Nachdem wir alle Artefakte untersucht und die Verwandten befragt haben, müssen wir uns entscheiden, in welche Richtung die Suche weitergehen soll.

Wir können überlegen: War der oder die Betreffende Opfer von Repressionen? Dann müssen wir nach den Ermittlungsunterlagen suchen.

War der Betreffende im Krieg? Dann können wir versuchen, seinen Weg dort nachzuvollziehen.

Wollen wir verstehen, wer der Urheber oder die Besitzerin des gefundenen Artefakts war, und womit er sich beschäftigt hat? Dann sollten wir uns auf die Suche nach persönlichen Dokumenten machen.

In Archiven werden viele verschiedene Materialien aufbewahrt, die von einem Menschen berichten, von seiner Familie, seinen Wohnorten, seinem Studium und seiner Arbeit; davon, wie er vom sowjetischen Regime verfolgt oder aber gefördert wurde. Jedes Dokument, das wir finden, wird neue Wege eröffnen um weiterzusuchen.

Der Ort der Suche — die Archive

Dieser Schritt könnte vielleicht für diejenigen, die nie etwas mit Archiven zu tun hatten, der schwierigste sein, doch werden unsere Hinweise sicherlich helfen (siehe unten).

Die meisten Dokumente in den Archivbeständen der Russischen Föderation werden in staatlichen Archiven aufbewahrt. Diese können bestimmten Behörden unterstehen, etwa dem Inlandsgeheimdienst FSB, dem Innenministerium, dem Föderalen Dienst für den Strafvollzug (FSIN), dem Verteidigungsministerium (über die Zuordnung der Dokumente zu den Archiven informieren die Hinweise unten).

Jede Region in Russland, ja selbst jeder Stadt- oder Landkreis, hat ein eigenes Archiv.

Und dann gibt es noch zahlreiche elektronische Datenbanken, die bei der Suche eine wichtige Hilfe sind.

Schreiben wir eine Anfrage und machen uns auf ins Archiv

Wir schreiben eine formlose Anfrage an das Archiv, in der wir genau angeben, welche Informationen wir bereits haben, und welche wir erhalten wollen. Eine wichtige Anmerkung: In die Ermittlungsunterlagen oder in andere Dokumente, die sich in regionalen oder kommunalen Archiven befinden, kann man auch ohne Nachweis einer Verwandtschaft Einsicht erlangen. Das gilt allerdings leider nicht bei einer Reihe von Archiven, die bestimmten Behörden unterstehen (etwa bei den Archiven des Innenministeriums oder der Standesämter).

Die Familiengeschichte vervollständigen

Wir werden Schritt für Schritt etwas Neues über den betreffenden Menschen erfahren und neue Wege der Suche entdecken. Wohin diese Suche uns führen wird, weiß kein Mensch. Das kann schrecklich sein, aber auch spannend!

Einige wichtige Hinweise dazu, wo was aufbewahrt wird:

01

Die Akten zu den Ermittlungsverfahren, die nach Paragraf 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR [wegen angeblicher konterrevolutionärer Aktivitäten] gegen einzelne Personen eröffnet wurden, sind gewöhnlich in den regionalen Verwaltungen des FSB archiviert, je nach dem Ort, an dem das Verfahren damals stattfand. In einigen Regionen wurden sie allerdings bereits in den 1990er Jahren an ein regionales Archiv übergeben. Hier eine Liste dieser Regionen:

Region Altai: Staatsarchiv der Region Altai;

Republik Altai: zum Teil dem Staatlichen Archiv für sozio-politische Geschichte (GASPI) der Republik Altai übergeben, zum Teil bei der Regionalen Verwaltung des FSB verblieben;

Gebiet Woronesh: Staatliches Archiv für gesellschaftliche und politische Geschichte des Gebiets Woronesh;

Republik Dagestan: Zentrales Staatliches Archiv von Dagestan;

Republik Kabardino-Balkarien: Zum Teil in das Zentralarchiv der Republik übergeben, zum Teil bei der Regionalen Verwaltung des FSB verblieben;

Region Kamtschatka: Staatsarchiv der Region Kamtschatka;

Gebiet Kirow: Zentrales Staatliches Archiv des Gebiets Kirow;

Gebiet Kostroma: Staatliches Archiv für Neueste Geschichte des Gebiets Kostroma;

Region Krasnojarsk: ein kleiner Teil der Unterlagen wurde dem Staatsarchiv der Region Krasnojarsk übergeben, der Großteil blieb bei der Regionalen Verwaltung des FSB;

Republik Krym (von Russland annektiert): Staatsarchiv der Republik Krym;

Gebiet Kurgan: Staatliches Archiv für gesellschaftlich-politische Dokumentation des Gebiets Kurgan;

Gebiet Lipezk: Staatsarchiv des Gebiets Lipezk;

Moskau und Moskauer Gebiet: Staatsarchiv der Russischen Föderation (Verfahren, die von der Regionalverwaltung des NKWD für Moskau und das Moskauer Gebiet betrieben wurden);

Gebiet Nishni Nowgorod: Zentralarchiv des Gebiets Nishni Nowgorod;

Region Perm: Permer Staatsarchiv für sozio-politische Geschichte;

Gebiet Sachalin: Staatliches Geschichtsarchiv des Gebiets Sachalin;

Swerdlowsker Gebiet: Staatliches Archiv der Verwaltungsbehörden des Swerdlowsker Gebiets;

Gebiet Twer: Twerer Dokumentationszentrum für neuere Geschichte, ein Teil der Verfahren verblieb bei der Regionalen Verwaltung des FSB;

Republik Tywa: Staatsarchiv der Republik Tywa;

Republik Chakassien: Nationales Archiv der Republik Chakassien

Gebiet Tscheljabinsk: Vereinigtes Staatsarchiv des Gebiets Tscheljabinsk

Republik Tschuwaschien: Staatliches Geschichtsarchiv der Republik Tschuwaschien

Gebiet Jaroslawl: Staatsarchiv des Gebiets Jaroslawl

Die Ermittlungsakten zu Personen, die auf dem Territorium des Gebiets Amur verurteilt wurden, werden heute in der Regionalverwaltung des FSB für das Gebiet Omsk aufbewahrt.

Die Ermittlungsakten zu Rotarmisten, die an der Front verhaftet wurden, werden am jeweiligen Geburtsort aufbewahrt.

02

Die Akten zu denjenigen, die verwaltungsrechtlich Opfer von Repressionen wurden, also zu den Verbannten und Deportierten, sowie zu denen, die in die sogenannte Arbeitsarmee kamen, werden am Ort der Strafverbüßung aufbewahrt, also in der Gebietsverwaltung des FSB der entsprechenden Region. Die Personenkarten von Angehörigen der Arbeitsarmee der sogenannten Besserungslager „Bakalstroi“ und „TagilLag“ werden im Städtischen Archiv für soziale und rechtliche Dokumente in Nishni Tagil aufbewahrt. Manchmal befinden sich die Dokumente von Angehörigen der Arbeitsarmee in der entsprechenden Verwaltung des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug (UFSIN), je nach Ort der Strafverbüßung. So befinden sich etwa die Lagerakten des „Bogoslowlag“ in der UFSIN für das Swerdlowsker Gebiet.

03

Die Gefängnisakten von Häftlingen sind in den jeweiligen Gefängnisarchiven zu finden.

04

In einigen regionalen Archiven werden zwei weitere wichtige Typen von Dokumenten aufbewahrt: 1) die Aufsichtsverfahren zu Gerichtsprozessen (darüber, wie die Revision verlief, wenn der Verurteilte, dessen Urteil noch nicht rechtskräftig war, gegen ein ungerechtes Urteil Berufung einlegte); und 2) die Filtrations– und Überprüfungsverfahren von sowjetischen ehemaligen Kriegsgefahrenen (Genaueres zum Aufbewahrungsort dieser Unterlagen siehe hier).

05

Wenn wir aus den Militärunterlagen erfahren haben, dass ein Verwandter im Krieg verschollen ist, sollten wir auch versuchen, ihn in Datenbanken von Opfern der Repressionen zu suchen. Nicht selten wurde in Dokumenten, die Angehörige von eigentlich Verhafteten und später Verurteilten erhielten, der Status „vermisst“ genannt. Es kommt nicht oft vor, aber es kommt vor, dass es sogar Opfer der Repressionen gab, von denen ihre Angehörigen [fälschlicherweise] annahmen, sie seien an der Front gefallen, worüber sie auch entsprechende Papiere erhalten hatten. Priorität haben hier die Ermittlungsverfahren, da diese einer strengen Rechenschaftspflicht unterlagen. Wenn uns eine Bescheinigung über den Tod eines Angehörigen an der Front vorliegt und wir in einer Datenbank zu Opfern der Repressionen das Datum der Hinrichtung des Betreffenden sehen, können wir sicher sein: Die zweite Quelle ist glaubwürdiger.

Die wichtigsten elektronischen Ressourcen zur Namenssuche:

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Deutsche Datenbanken zu sowjetischen Kriegsgefangenen: